Exklusiv-Interview mit den Regisseuren Fernando González Gómez und Raúl Cerezo über ihren Film “The Elderly”

„Wir laden unser Publikum ein, über jede Einstellung des Films nachzudenken.“ –

Ein Exklusiv-Interview mit den Regisseuren Fernando González Gómez und Raúl Cerezo über ihren Film “The Elderly”



Die Antworten im nachfolgenden Exklusiv-Interview wurden von beiden Regisseuren als Team gegeben.

1. „The Elderly“ ist ein künstlerisches und visuelles Meisterwerk, das viele Zuschauer etwas irritiert zurücklassen wird. Mögt ihr uns ein wenig über die Entstehung des Films und dessen Bedeutung erzählen?


Von Anfang an standen wir bei der Erzählung unter der Prämisse der totalen Freiheit des Autors, die es uns erlaubt hat, uns von jeglichen Stereotypen zu entfernen. Auf diese Weise stehen wir jetzt vor einem ungeheuer persönlichen Werk und damit, wie du in deiner Frage richtig bemerkst, vor einem Film, der, je nach den Erwartungen des Zuschauers, geliebt oder gehasst werden wird. Wir alleine sind schuldig an allen Erfolgen und Fehlern dieses Films.

„The Elderly“ ist ein Werk, das durch einen kritischen sozialen und dramatischen Blick versucht, den Schrecken durch verschiedene kollektive, klimatische und sogar apokalyptische Probleme auszudrücken, die in unserem Alltag, sowohl außerhalb als auch innerhalb unserer vier Wände, zu finden sind. All dies wird dem Horror und dem Fantastischen als kathartische und erzählerische Kraft zugeführt und endet in der furchterregendsten apokalyptischen Strafe … und das zu Recht. Oder ist es doch nur das Delirium der alten Leute, das der Hitze geschuldet ist? Alle Antworten liegen in einem Rätsel, das sich in der letzten Sekunde des Films vervollständigt. Oder im letzten Bild …

2. „The Elderly“ ist in erster Linie ein anspruchsvoller Film, der sich ein wenig abseits vom Mainstream bewegt. Welche Filme seht ihr privat? Wie ist eure Meinung zum Blockbuster-Kino?

Wir hatten das Glück, mit allen Freiheiten der Welt zu arbeiten, was bei einem Film mit Produzenten, die nur an die Einspielergebnisse denken und den künstlerischen Aspekt außer Acht lassen, undenkbar ist. Wir haben eine sehr breite Vision des Kinos, wir mögen sowohl Indiana Jones als auch Kaurismaki. Scorsese genauso wie John Carpenter. Es gibt viele Möglichkeiten, in verschiedenen Erscheinungsformen ein hohes Qualitätsniveau zu erreichen, und wenn wir als Zuschauer das Spektrum dieser Vielfalt verringern wollten, müssen wir diesen Spielräumen Tür und Tor öffnen. Deshalb hat unser Film diese freie Vision, die sich aber nicht für jeden Zuschauer erschließen wird.

Heute sind Mainstreamfilme die einzige Art von Kino, die das Publikum noch in die Kinos lockt, deshalb halten wir es auch für ein notwendiges Produkt für die Industrie, denn es ist schließlich dasjenige, das Vorführungen in den Kinos möglich macht. Wir sind jedoch der Meinung, dass das kleine Kino, das risikoreiche Kino mit Persönlichkeit, es verdient, unterstützt zu werden, um ein größeres Publikum zu erreichen und von diesem beurteilt zu werden. Leider lassen das breite Angebot und das Gewicht großer Produktionen wenig Platz auf der Leinwand für Independentfilme.

3. Euer Film ist nicht nur Horror, sondern auch Sozialkritik am Umgang mit alten Menschen. Wie seid ihr auf dieses Thema gekommen?

Der Film wurde vor zehn Jahren konzipiert, als das heutige Subgenre des sogenannten „geriatrischen Horrors“ noch gar nicht existierte. Wir dachten, wir hätten das Rad neu erfunden, aber da wir so lange gebraucht haben, um den Film herauszubringen, sind wir nicht mehr die Einzigen, sondern die Zehnten. Senioren-Horror ist der letzte Schrei, aber wir waren wahrscheinlich die ersten, die darauf gekommen sind, hahahahahah.
Als wir uns darüber im Klaren waren, dass wir ältere Menschen als Horrorelement verwenden wollten, erkannten wir, dass wir die Geschichte in eine dramatische, nahe und viel umfassendere Richtung lenken konnten und nicht in die Richtung eines „alten Zombiefilms“, wie es in den ersten Fassungen des Drehbuchs noch der Fall war. Protest, Bewusstsein, Reflexion und persönliche Erfahrung haben den Film dann letztendlich dorthin gebracht, wo er jetzt ist, und wir lieben ihn, aber wir wollten nie seine wahre, genrebezogene Genese vergessen. Wir sind keine Freunde des erzwungenen „gehobenen Horrors“, der sich hinter dem aktuellen Opportunismus verbirgt und der in Wirklichkeit eine ernsthafte Verachtung des Horrors darstellt. Wenn man sich nicht für das Genre interessiert, sollte man nicht damit arbeiten. Aber das Wichtigste bitte: ES SOLLTE NICHT BESCHMUTZT WERDEN.

4. „The Elderly“ ist sehr interpretationswürdig. Oftmals spielt Mystery eine große Rolle und erinnert ein wenig an die Filme von David Lynch. Möchtet ihr ein wenig über die Aussage des Films sprechen?

Es ist ein Film, der viel damit spielt, alle Teile eines Puzzles in den Film zu legen, ja, aber so verstreut, dass der Zuschauer genauso verloren ist wie die jungen Protagonisten der Geschichte. Wir mögen den Ausdruck unseres Films nicht nur dialektisch, sondern auch rhetorisch, symbolisch und geheimnisvoll in Form von Codes. Lynch mag da durchaus eine der Referenzen sein, denn er scheint uns der beste Genre-Regisseur der letzten Jahre zu sein, ohne aber ein offensichtlicher Genre-Regisseur zu sein. „The Elderly“ ist ein Film, der nicht nur mit dem Genre spielt, sondern auch Subgenres wiederbelebt und zusammenfügt, um das fertige Mosaik zu komponieren, das in der letzten Einstellung explodiert. Wir laden unser Publikum ein, über jede Einstellung des Films nachzudenken und sie zu entdecken. Die Herstellung dieses Films war eine schwierige Angelegenheit, die auch die Zuschauer herausfordert.

5. Der Film war eine Zusammenarbeit. Wie gestaltete sich diese gemeinsame Regie? Wart ihr euch meist einig oder gab es auch mal Uneinigkeiten?

Es ist bereits der zweite Film, bei dem wir gemeinsam Regie geführt haben, direkt nach „Passenger“. Und weswegen wir das wiederholt haben, dann deshalb, weil es funktioniert hat. Der Schlüssel für eine funktionierende Co-Regie liegt darin, dass beide Regisseure eine gleichwertige oder zumindest komplementäre Arbeitsweise haben. In unserem Fall sind wir zwei Regisseure, die das Planen, den erzählerischen Sinn und die Filmsprache lieben, daher erfolgt die gemeinsame Erarbeitung der Geschichte in der Vorproduktion als Team.

Hand in Hand haben wir jede einzelne Einstellung des Films akribisch geplant, haben diskutiert und uns gegenseitig mit unseren Ideen bereichert, bis wir einen Konsens gefunden haben, mit dem wir beide zufrieden waren. Wir müssen beide lieben, was auf der Leinwand erscheinen wird, und bis wir diesen Punkt erreicht haben, betrachten wir ihn nicht als fertig.

Das Schöne ist, dass wir dann den fertigen Film sehen und ihn beide als unseren empfinden, da alles vorher so entschieden und vereinbart wurde, sodass es nicht zwei Erzählstimmen gibt, sondern eine einzige.

6. Gab es irgendwelche Probleme bei den Dreharbeiten? Lustige oder gar dramatische / gefährliche?

Der Film wurde während der Corona-Pandemie gedreht, mit allem, was dazugehört: tägliche Tests, eine Hygieneblase für das Drehteam, Zugangsprozeduren zum Set, und dazu kam noch ein künstlerisches Team, in dem wir viele ältere Schauspieler hatten. Für diese waren die Risiken und die Sorgfalt, die man walten lassen musste, größer.

Während der Dreharbeiten gab es keine nennenswerten Probleme. Man muss bedenken, dass das technische Team des Films zu 80 % das Gleiche ist wie bei „The Passenger“, der einige Monate zuvor gedreht wurde – also ein gut eingespieltes Team, das wie ein Uhrwerk funktionierte und uns ein flüssiges Arbeiten ohne nennenswerte Probleme ermöglichte.

Generell können wir die Freude und den Enthusiasmus hervorheben, mit Schauspielern gearbeitet zu haben, die schon lange nicht mehr im Kino zu sehen waren, und dass es für sie ein Wiedersehen mit ihrem Beruf war.

7. Zum Abschluss würde mich interessieren, was „The Elderly“ für euch persönlich bedeutet.

Heute ist „The Elderly“ aktueller denn je, dank COVID, das dem Film eine andere Dimension verliehen hat. Die globale Bestrafung, die wir erlitten haben, und selbst damit die Verachtung, die wir unseren Älteren in den Heimen und in Situationen entgegengebracht haben, in denen wir auf die Probe gestellt wurden und versagt haben, lässt uns denken, dass die Science-Fiction des Films viel Wissenschaft und wenig Fiktion hat. Heute hat er eine solche Dimension und Bedeutung erlangt, dass er, ohne dass man ihn sucht, in seiner Botschaft und Philosophie radikal anders und viel stärker ist. Sind die älteren Menschen tatsächlich die Bösewichte dieses Films?


Das Interview wurde von Wolfgang Brunner im Juni 2023 geführt.